Eine Sprache ohne Grußformeln
Vergangene Woche schrieb ich über die zunehmende Asynchronität der Kommunikation. Damit einher geht natürlich auch ein Wandel der Sprache. Gefühle werden, da man sich nicht mehr sieht oder hört, in Smilies versucht auszudrücken, Abkürzungen und neue Worte zum Ausdrücken von komplexeren Sachverhalten entstehen und die Art des Schreibens verändert sich. Viele, dazu gehöre ich meist nicht, schreiben immer kürzer. Und auch findet man Grußformeln in Chats nur noch selten. Letzteres hat seinen Ursprung denke ich darin, dass man ja immer in Kontakt steht. Zwar nicht direkt, aber eben asynchron. Das Letzte, was viele vor dem Schlafen gehen machen, ist auf ihr Smartphone zu sehen, ob noch jemand geschrieben hat. Und das erste beim Aufstehen – ihr könnt es euch vorstellen.
Daraus ergibt sich für mich die Idee einer Sprache ohne Grußformeln. Also kein Hi, Hey, Hallo, Servus, Ciao und Tschüss mehr. Vielleicht auch noch ausgeweitet auf förmlichere Sprache.
Beim Chatten ist dies, wie bereits gesagt, schon recht normal. Und auch in Mails werden, wenn man in einem schnellen Takt antwortet, inzwischen häufiger die Grüße weggelassen. Doch im direkten Kontakt ist dies kaum vorstellbar. Kommt man in das Büro oder auch die Schule ist es völlig normal ein Guten Morgen in den Raum zu werfen. Und auch verabschiedet man sich von den Anderen, wenn man das Umfeld verlässt. Nicht nur damit die Anderen wissen, dass man (wie jeden Tag) nun wieder weg ist, sondern auch aus der Norm heraus.
Ich persönlich stelle mir bei solchen Kleinigkeiten ganz gerne die Sinnfrage. Wieso man so handelt, wie man handelt. Schön finde ich persönlich Grüße von Personen, die man mag, da dies in meinen Augen signalisiert, dass dies die Wahrnehmung des Gegenübers signalisiert. Jedoch verwehrt sich bei mir ein nachvollziehbarer Grund, wieso man jeden Tag jedem einen guten Morgen wünscht. Ich denke dahinter steht mal wieder das soziale Gefüge. Man möchte keinen aus einer Gruppe offensichtlich bevorzugen oder benachteiligen, da man dadurch nicht auffallen möchte.
Meine persönliche Meinung zu der Idee einer Sprache ohne Grußformeln ist, desto länger ich darüber nachdenke, immer zwiespältiger. Einerseits denke ich, dass der rationale Sinn nicht wirklich gegeben ist und es eine an soziale Strukturen gebundene Verhaltensweise ist, die jeder von dem anderen einfach erwartet ohne sich die Sinnfrage zu stellen. Andererseits fände ich eine Sprache ohne diese soziale Regel auch negativ, da man Menschen, die man mag, nicht mehr so einfach über die Sprache signalisieren könnte, dass man ihn/sie wahrgenommen hat. Ein Fazit meiner Meinung gibt es daher nicht, da auch ich keine in meinen Augen zufriedenstellende Antwort auf diese Frage fand.
Wie seht ihr diese, zugegebenerweise, gesellschaftlich gesehen wahrscheinlich etwas verrückte Idee?
11 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Ertsmal vorweg:
Ich finde es bemerkenswert, wenn junge Leute über Fragen wie diese nachdenken. Weil im allgemeinen andere Themen wichtiger zu sein scheinen.
Zur Sache:
Einen Gruß zu sprechen oder zu senden tut doch nicht weh. Selbst bei Menschen die ich nicht ‚wertschätze‘ ist der Gruß das Mindeste, was ich an Höflichkeit walten lasse. Zivilisation baut auf gegenseitigem Respekt auf – das schließt nach meiner Auffassung den Gruß ein.
Die Tatsache, dass es Viele anders halten bringt mich davon nicht ab. Soviel Zeit muß immer sein. Wer das Gegenteil behauptet verschleiert seine eigene Nachlässigkeit (und Unhöflichkeit!).
Außerdem macht der Gruß weniger ‚angreifbar‘ – es ist schon mal ein Kritikpunkt weniger der mir vorgeworfen werden kann. Mir vorzuwerfen ich sei ‚extrem‘, ‚unversöhnlich‘ oder ‚geradlinig bis zur Beleidigung‘ macht mir nichts aus, das mag im Auge der Betrachter so aussehen – aber unhöflich zu sein wäre mir unangenehm:
Weil es mit der Wertschätzung der Anderen als Mensch zu tun hat. Ich kann jemanden nicht mögen weil er andere Auffassungen vertritt – trotzdem hat seine Meinung die gleiche Berechtigung wie meine eigene.
Das drücke ich in einem Gruß – völlig unverbindlich, aber doch deutlich – aus.
Daraus folgt: Menschen, die ich verachte, grüße ich nicht mehr.
Im persönlichen Kontakt muß es keine Umarmung sein, die ist guten Freunden vorbehalten. Es sei denn, es wäre eine kulturelle Gepflogenheit, wie etwa in den südeuropäischen Ländern: Dort ist es ein Affront nicht zu umarmen – und wenn ich dort sozial integriert sein will muß ich mich dem anpassen. Oder mich dort nicht aufhalten.
Hallo.
Schon witzig, dass W V S so ganz ohne Begrüßung oder Schlussformel daherkommt. War dann aber wahrscheinlich ein Versehen, oder für Kommentare gibt es eine Ausnahmeregel 😉
Gruß
Karsten
Hallo Karsten,
wenn du Wert darauf legst will ich dich gern (auch in einem Kommentar) persönlich begrüßen.
Ja, du vermutest richtig, ich habe das in Kommentaren nur in ganz wenigen Ausnahmefällen getan.
Der Grund dafür ist einfach erklärt:
– In Kommentaren richte ich mich (zuerst) an eine größere Leserschaft die ich nicht kenne …. [und ich gehe dabei – stillschweigend – davon aus, dass hier mehr als ein Leser vorhanden ist ;)]
– In Kommentaren geht es um Informationsaustausch, Argumente & Gegenargumente – da ist einzig ein angemessener Ton als Höflichkeit den Anderen gegenüber gefragt.
– Wenn ich auch noch etwas anmerken darf:
Ich hätte mir gewünscht von dir zur Sache auch etwas zu erfahren. Dazu hast du doch bestimmt in paar Gedanken, die du hier mit uns teilen könntest. Einfach nur am Stil meines Kommentars etwas zu monieren scheint mir da zu wenig – oder?
Aber ich weiß schon,
du wolltest bestimmt erstmal nur abwarten was ich antworte ….
Liebe Grüße,
wvs
Hallo WVS,
ich musste nur Schmunzeln, weil Du recht polarisierend von Verachtung bei Nichtgrüßen schriebst, Dein restlicher Kommentar aber darauf schließen lässt, dass Du Jan Karres aber doch mindestens grüßenswert achtest. Auf ein weiteres Statement von Dir war ich gar nicht aus, war dein Kommentar doch schon eindeutig.
Ich halte es online wie „offline“ gleicht: Betrete ich einen Raum oder nehme ich an einem Austausch teil, dann grüße ich. Und ich grüße auch Leute, die ich noch nicht kenne, vielleicht weil ich einen Gruß auch als eine kleine Form von Vorstellung sehe. Das ergibt sich aus meinem persönlichen Verständnis für ein gutes Miteinander, egal ob ich das Gegenüber wertschätze oder nicht, halte ich es für ein angebrachtes Grundverhalten („Missachtung“ kann man dann im Verlauf noch zum Ausdruck bringen, wenn man denn will).
Das heißt aber nicht, dass jede Kurznachricht, Forenantwort oder jeder Blogkommentar mit Gruß- und Schlußformeln endet. Aber wenn ich mich zu einem Thema das erste Mal melde, kommt zumindest ein kurzes „Hallo“ oder „Hi“. Tut nicht weh 🙂 Ganz einfach so, wie im echten Leben.
Mach’s gut
Karsten
Hallo,
interessante Gedanken. Ich habe mir auch schon oft bei gesellschaftlich etablierten Verhalten die Sinnfrage gestellt. Auf das Grüßen bin ich bisher aber noch nie gekommen. Am schlimmsten finde ich eher Dinge wie ein „Gesundheit“ in den Raum zu werfen, wenn jemand niest. Bei manchen Menschen kommt es schon fast einem autonomen Bellen nahe. Bei einem Nieser bellen dann meist mehr als nur eine Person „Gesundheit!“.
Da ich selbst ein recht einfacher Mensch bin, sehe ich in den meisten Verhaltensregeln nach Knigge völlig übertrieben und sinnfrei.
Wobei.. vielleicht nicht sinnfrei. Denn einen Sinn verfolgt es ja. Aber eben eher leer im Nutzen. Der einzige Sinn ist es, dem Gegenüber bzw. seiner Umgebung etwas mitzuteilen.
Vielleicht feuere ich damit ja weitere Gedanken an 🙂
Besten Gruß
“ .. Da ich selbst ein recht einfacher Mensch bin, sehe ich in den meisten Verhaltensregeln nach Knigge völlig übertrieben und sinnfrei .. “
Hallo Alex,
Nach ‚Knigge‘ verhält sich heute schon fast niemand mehr – von einigen geschlossenen Zirkeln einmal abgesehen.
Sofern sich die Regeln auf Verhalten gegenüber Frauen beziehen halte ich sie durchaus für angebracht – und sie werden, das haben Untersuchungen gezeigt, von den Frauen trotz Emanzipation als Geste der Wertschätzung durchaus begrüßt. Die Türe aufzuhalten oder zur Begrüßung am Tisch aufzustehen bedeutet ja nicht, dass man die weibliche Leistung in Arbeit und Familie etwa gering schätzt ….
’sinnfrei‘ oder ‚ohne Nutzen‘ etwas zu tun ist natürlich töricht – es sei denn, das Gegenüber sieht darin einen Sinn oder Nutzen. Und da man das nicht weiß ist es bestimmt von Vorteil es lieber zu tun als zu lassen – weil es zu lassen der größere Schaden wäre.
Übrigens: Ein ‚einfacher‘ Mensch zu sein bedeutet ja nicht, dass man auch ein unhöflicher Mensch sein muß – Geradlinigkeit und Sprache ohne Schnörkel sind stets willkommen, besser jedenfalls als das Unterlassen jeglicher Form.
Selbst da, wo (vermeintlich) Pragmatismus und nichts sonst gefragt sind, fällt man positiv auf wenn man ‚die Form‘ beherrscht. Möglicherweise ist das dann genau der ‚kleine Vorteil‘ den man gut gebrauchen kann wenn man erinnert werden will.
Eine Woche reich an Beobachtung menschlichen Verhaltens wünscht dir
WvS
Hallo Freunde,
auch ich finde es sehr interessant, wenn sich ein junger Mensch mit derartigen Gedanken befasst.
Meine Eltern haben mir vor rund 60 Jahren (ich kann mich nicht mehr an das genaue Datum erinnern ;-)) gewise Grundregeln des menschlichen Zusammenlebens anerzogen. Und ich habe es bis heute als gut und richtig empfunden, diese Regeln auch anzuwenden.
Egal, ob ich ein Telefongespräch entgegennehme, einen Raum oder ein Geschäft betrete (wenn der Raum nicht gerade eine Bahnhofshalle und das Geschäft ein Supermarkt ist …) oder ob es sich um die moderne Internetkommunikation handelt. Wie Karsten schon schrieb: „… ein kurzes “Hallo” oder “Hi”. Tut nicht weh 🙂 Ganz einfach so, wie im echten Leben.“.
Ich bin in zwei Internetforen (Thunderbird-Mail.de und Linux-Club) ein sehr aktiver Moderator mit insges. rund 15.000 Beiträgen. Und ich stelle fest, dass die meisten (oder fast alle) User mittlerweile ihren Beitrag oder ihre Frage mit einem „Hallo“ beginnen und (wie ich) mit einem „MfG “ beenden. Sicherlich kam das nicht von alleine. Ein klein wenig „Erziehungsarbeit“ war da schon zu leisten. Auf jeden Fall ist das so, dass der Umgangston (*) in „meinen“ beiden Foren sich schon wohltuend von vielen anderen Foren unterscheidet. ICH habe auf jeden Fall wenig Anreiz, auf eine „hingerotzte“ Frage eine umfassende und auch hilfreiche und ausformulierte Antwort zu geben. Wie war das doch mit dem Wald und dem Schall … ?
Und selbstverständlich erwartet auch niemand diese „Grußfloskeln“ bei jeder kurzen Antwort.
(* BTW: nicht nur der Umgangston, sondern auch der Stil der Fragen/Beiträge und auch die den pers. Möglichkeiten entsprechende Anwendung der dt. Rechtschreibung und Grammatik. Und das, ohne dass wir uns als Außenstellen des Goethe-Instituts betrachen.)
Ich würde es auf jeden Fall bedauern, wenn bestimmte Regeln der menschlichen Kommunikation „den Bach runtergehen“ würden, denn „<= ja so viel Zeit nehmen wir uns hier."
MfG Peter
Hallo Peter,
ich will mich nicht wiederholen, daher nur eine kurze Anmerkung zu den Abkürzungen für Grußformeln:
„MfG“ halte ich nicht für eine sehr ‚höfliche‘ Formulierung, wenngleich es besser ist als garnichts ….
Herzlichst,
Wolfgang
Der Aussage von WVS kann ich nur beipflichten. Wenn ich „MfG“ lese denke ich mir, meist natürlich nur für mich selbst, dass man es entweder ausschreiben, oder weglassen soll, wie ich es in diesem Kommentar mache 😉
„Höflichkeit ist wie ein Luftkissen: es mag wohl nichts drin sein, aber es mildert die Stöße des Lebens.“
(Arthur Schopenhauer)
In diesem Sinne
mit lieben Grüßen an alle
Uwe
Hallo Zusammen ;-)!
Ich stimme WVS in seinem Beitrag zu. Grüßen ist ein Zeichen von Höfflichkeit. Das dahinter das soziale Gefüge stände klang für mich so, als wäre Grüßen etwas unangenehmes.
Das sehe ich nicht so, im Gegenteil, ich mag das Grüßen. Zugegeben: ich bin auf dem Dorf aufgewachsen, da grüßt man jeden, dem man begegnet – egal ob man ihn kennt oder nicht.
Ich finde auch, dass das Grüßen nicht an eine Frequenz des Kontakts oder der Interaktion gebunden ist. Starte ich einen Chat so beginnt dieser mit einer Gruß-Formel, beende ich einen, verabschiede ich mich.
Euch allen also ein tolles Wochenende!
Christian