Ich bin ein Netzkind!
Die Jugend ist eine Phase des Lebens, in der man sich stark entwickelt, die die eigene Persönlichkeit reifen lässt und eigene Meinungen über das, was man sieht, hört und fühlt, bilden lässt. Mit meinem achtzehneinhalb Jahren steuere ich von der Definition her auf das Ende meiner Jugend mit 21 Jahren zu.
Geboren im Jahrgang 1995 bin ich in meinen Augen einer der Digital Native (dt. digitale Eingeborene) Generation. Im Gegensatz zu den Digital Immigrant (dt. digitaler Einwanderer) waren digitale Medien wie Fernseher, Computer und dergleichen für Digital Natives wie mich schon immer da. Als ich zwei Jahre alt war, kauften wird den ersten PC für, im Vergleich zu heute, einer sehr hohen Summe. Ein Handy kam auch bereits Ende der 90er-Jahre in unsere Familie. Und auch das Internet war mit der Installation unseres ersten Modems um die Jahrtausendwende für mich fast immer schon einfach da. Daraus ergibt sich eine ganz andere Nutzung von solchen Medien, als wenn sie im Laufe des Lebens auf einmal kommen und man sich dann darauf einlassen muss. Ob man den 1990er, 1995er oder gar erst den 2000er Jahrgang als Digital Natives bezeichnen kann, ist eine Frage, die wahrscheinlich keine einheitliche Antwort kennt. Ich für meinen Teil fühle mich zumindest so, als sei ich gerade an der Bruchstelle zu oder in dieser Generation geboren.
Und ich fühle mich noch viel mehr als ein Teil einer digitalen Gesellschaft, denn ich selbst würde mich als Netzkind bezeichnen.
In Berührung kam ich mit den Medien von heute also schon recht früh. Ebenso mit dem Internet, in dem ich in den ersten Jahren auch meine Erfahrungen mit Viren und kostenpflichtigen Einwahlen machen durfte. Für alle, die Letzteres nicht mehr kennen: Früher konnte man über den Modem-Internetanschluss ohne Eingabe eines Passwortes o.ä. Rechnungen per Telefonrechnung bezahlen. Und auf den Spaß bin ich im Alter von wahrscheinlich sieben oder acht Jahren einmal reingefallen.
Während ich bei meinem Bruder dessen frühzeitliche Onlinespiel-Erfahrungen mitbekam und selbst mit Nintendo Handhelden spielte, entwickelte sich mit elf Jahren bei mir die Frage, wieso sich die Figuren beim Drücken der Tasten eigentlich so bewegen, wie sie es taten. Durch einen Zufall lernte ich über das Internet einen etwa gleichaltrigen Daniel kennen, der mich auf das Thema, eine eigene Webseite zu gestalten brachte. Damals noch mit dem, aus heutiger Sicht vorsintflutlichen Webseiten-Baukasten 12see.de, den es auch heute noch (im Verhältnis zu damals echt modernisiert) gibt.
Darüber rutschte ich in verschiedenste Online-Foren und -Communitys, in denen ich begann, mein technisches Wissen aufzubauen und zu teilen. Darunter auch Klamm.de, bei denen ich wahrscheinlich am längsten richtig aktiv war. In diesen Portalen lernte ich, dass man besser googelt, als jede Kleinigkeit zu fragen, sich englischsprachigen Inhalten zuzuwenden, wie man sich wem gegenüber höflich zu verhalten hat und nicht zuletzt, dass das Alter in Netz nicht unbedingt eine herausragende Rolle spielen muss. Letzteres setzt jedoch voraus, dass man sich entsprechend verhält, was dazu führte, dass ich mich heute glaube ich sowohl im Netz als auch mit dem direkten Gegenüber anders verhalte, als ich es ohne das Netz getan hätte. Daraus können im Jugendalter nicht nur kleine „geschäftliche Beziehungen“ entspringen, sondern man lernt darüber auch interessante Leute in den Weiten des Netzes kennen. Die meisten Kontakte, wie im Leben außerhalb der Quadrate auch, verlaufen sich wieder, aber einige bleiben. Doch alle prägen einen und sein Verhalten in irgendeiner Form. In der Jugend gilt das im Besonderen, da man sich ja noch stärker als später prägen lässt. Von schönen Bekanntschaften wie dem David, mit dem ich mich parallel ein paar Hundert Kilometer südlich von ihm entwickelte und seit nun fünf Jahren Webprojekte auf die Beine stelle, über einen Martin, der über einen Bug in meiner Webseite diese mutwillig zerstört hat, dies bestritt und stattdessen einen Dritten vorschickte (als Hacker ausgegeben; dessen echter Name samt Anschrift ich leider mit ein paar Minuten googeln herausfand, woraufhin dieser Panik bekam), über den ich wiederum den Einstieg in die Linuxwelt nahm. Das Leben nimmt nicht nur im Haptischen, sondern auch im Digitalen manchmal unergründliche Wege.
Zusammenfassend sei gesagt: Der, der ich heute bin, wäre ich nicht ohne das Netz. Natürlich zum einen im Bezug auf das, was ich inzwischen kann, was, ohne zu lügen und mich selbst loben zu wollen, denke ich für mein Alter schon etwas überdurchschnittlich ist, aber auch, was nicht kleingehalten werden soll, als Mensch. Von einem schüchternen Jungen in der vierten Klasse, der lange Zeit als Mamahänger bezeichnet wurde, hin zu einem jungen Mann, der neben der Schule inzwischen selbständig arbeitet, glaubt, sich einigermaßen adäquat ausdrücken zu können, in der Schule (auch da ich mich vom Klassensprecher bis hin zum Schülersprecher wandelte; Letzteres mache ich nun schon drei Jahre) wenn es heiklere Fragen gibt, seines Erachtens nach gerne vorgeschickt wird (und es auch macht), bewusst manche Themen anspricht, die viele lieber vermeiden, oft nicht fragt, sondern einfach macht und nicht mehr wirklich Angst hat, vor ein paar hundert Leuten auf einer Bühne zu stehen und über irgendetwas zu schwadronieren.
An all dem haben die Leute, mit denen ich im Netz kommuniziert habe (oder von denen ich auch nur gelesen habe), denke ich, einen nicht unbeträchtlichen Anteil. Klar, meine Familie, das soziale Umfeld und Freunde, denen man öfter als einmal alle fünf Jahre gegenübersteht, haben auch einen großen Einfluss. Doch insbesondere letztere habe ich kaum. Um konkret zu sein, würde ich sagen, sind das (außer solche, die man in der Schule jeden Tag sieht) genau zwei. Und auch mit diesen unternehme ich wenig, was nicht zuletzt daran liegt, dass wir nicht um die Ecke wohnen.
Dies liegt an dreierlei Faktoren: Einerseits sind wir vor sechs Jahren nach Olching gezogen, wo es ein Gymnasium gibt, auf das gefühlt jeder geht, den man in Sportvereinen oder Ähnlichem kennenlernt, was zur Folge hat, dass es verdammt schwer ist, in ein soziales Gefüge hineinzuwachsen, in dem man einer der wenigen ist, die nicht jeden Tag in der Schule irgendwie wahrgenommen werden. Zum anderen versuche ich, die Freizeit sinnvoll zu nutzen, was darin mündet, dass ich eben lieber mit Leuten etwas mache, mit denen ich gleiche Interessen habe – und meine Interessen technischer und zugleich kreativer Natur findet man eben nicht bei jedermann. Aber ehrlicherweise sei auch zu sagen, dass Freunde, mit denen man sich sozial, und nicht primär inhaltlich austauscht bei Netzkindern wie mir auf der Strecke bleiben. Man sitzt lieber vor seinen Maschinen, bastelt daran rum, bringt sich selbst Thema für Thema bei und verwirklicht seine Ideen, anstatt rauszugehen in die Gesellschaft, um dort mit Freunden abzuhängen. Sozial zu interagieren. Und dabei in meinen Augen weniger Sinnvolles aus der Zeit zu machen.
Wie ihr oben lesen könnt, würde ich mich selbst nicht als sozial unfähig (wie man sich typische Nerds so vorstellt) bezeichnen. Ein Teil meiner Klassenkameraden und Freunde würden an dieser Stelle bestimmt lachen. Der Jan und sozial unfähig – was für ein Unfug. Ich möchte viel mehr sagen, dass diese Komponente in meiner bisherigen Jugend weniger Platz, als bei den meisten Anderen bekommen hat (die soziale Kompetenz im sachlichen Umgang ist durch das Netz vermittelt – Gefühle hingegen mehr theoretisch als praktisch), was auch darin mündet, dass ich in den letzten zwei bis drei Jahre merke, dass ich etwas anders bin. Dass ich einfach ein Netzkind bin.
– Geschrieben mit Leidenschaft und unter dem Vorsatz, die Bezeichnung „echtes Leben“ zu vermeiden –
Im Bild zu sehen bin ich, als ich 1997 eine der ersten Male vor einem Computer saß.
3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Hallo Jan!
Genau mit dem, was du in dem Artikel geschrieben hast, kann ich (Jahrgang 1994) mich zu 100 % identifizieren. Ich würde mich freuen, wenn du mehr solcher Artikel schreibst.
LG Lewis
Freut mich zu lesen, denn so viele, die so ticken, kenne ich selbst (noch) nicht 🙂
[…] Ich bin ein Netzkind, das viel Zeit vor den Quadraten verbringt. Die Annahme war also, dass ich mit Videos endlich mal mehr raus gehe – zum Drehen. Dies stellte sich jedoch als Fehlannahme heraus, da wir merkten, dass es wesentlich einfacher ist Indoor zu filmen. […]