Die Cyborgs sind seit Jahren unter uns!
Menschen malen sich die Zukunft manchmal etwas futuristischer aus als sie doch wirklich ist. Das ZDF zeigte 1972 in ihrer Dokumentation Richtung 2000 die Idee einer Welt, wie sie im Jahre 2000 hätte sein können, und bis heute nicht ist. Jedoch hat die Welt in der Zeit bis zum Jahre 2000 diverse Komponenten erhalten, die damals noch nicht mal vorstellbar waren. Genauso wie es 2000 nicht vorstellbar war, dass heute jeder mit einem Gerät in der Hosentasche herumläuft, das mehr Leistung als ein durchschnittlicher Computer damals hatte. Und was in ein bis zwei Jahrzehnten technologischer Mainstream ist, denke ich kann man heute auf Grund der rasanten Entwicklung weniger denn je abschätzen.
Der Begriff der Cyborgs ist dabei eine reizende Vorstellung in der Gedankenwelt. Er bezeichnet ein Mischwesen aus lebendigem Organismus und Maschine, das aus dem Kontext der Raumfahrt der 1960er Jahre stammt. Der Traum Mensch und Maschine zu verschmelzen um damit unserer Spezies Möglichkeiten zu verschaffen, die zuvor kaum denkbar waren. Arnold Schwarzenegger als der Terminator wird da wohl die bekannteste Verbildlichung sein. Oder was spricht denn dagegen einen Menschen ganz durch eine KI zu ersetzen, die einen Menschen perfekt imitiert und moralisch handelt, wie in dem 2015 erschienenen Film Ex Machina, der umwerfend subtil Parallelen aus der realen Welt mit der Fiktion verbindet.
Werkzeuge haben uns seit jeher unterstützt unsere physikalischen Grenzen zu erweitern. So wie wir einst mit Feuersteinen das Feuer als kontrollierbares Mittel entdeckten, so errichten wir heute mit modernen Werkzeugen hunderte Meter hohe Wolkenkratzer aus Stahl, Beton und Glas. In den letzten Jahrzehnten und ganz besonders in den letzten acht Jahren haben wir jedoch ein technologisches Werkzeug erschaffen, das nicht unsere physikalischen, sondern unsere mentalen Grenzen erweitert. Wir irren heute nicht mehr durch fremde Städte mit riesigen Karten, wir schlagen heute häufig nicht mehr in großen Enzyklopädie Bänden wie dem Brockhaus nach und wir schreiben entfernten Freunden und bekannten keine Briefe mehr. All das und noch unglaublich viel mehr hat jeder einzelne von uns heute andauernd in seiner Hosentasche mit dabei. Das Smartphone.
Jeder, der ein solches Werkzeug besitzt hat zwei Ichs. Das eine, das physikalisch irgendwo anwesend ist, und das andere, das geistig unabhängig von Raum und Zeit in einem bildlich kaum greifbaren Raum erreichbar ist. Egal wo, wann und ob das erste Ich gerade Zeit hat, ist das zweite Ich dauerpräsent. Und das erste Ich muss nicht so ticken wie das zweite Ich. Es wurde möglich ein Abbild seiner selbst zu schaffen, das man im Internet so hinstellt wie man es sich wünscht: Der Super-Sportler, überglückliche Angestellte oder die immer relaxte Mutter. Ob das erste Ich wirklich so ist, das interessiert erst wenn das erste auf das zweite Ich stößt.
Das kann schon mal passieren. Aber hey, dann zeig doch ein Bild deines zweiten Ichs um deine Schwäche zu kompensieren. Der Input, den das zweite ich genießt, ist sowieso allgegenwärtig. Ob im Job, beim Essen gehen mit Freunden, beim Spielen im Kinderzimmer, beim zufälligen Treffen auf der Straße oder im Schlafzimmer. Oder was streichelst du bevor du schlafen gehst zuletzt und was hast du als erstes jeden morgen in der Hand. Wahrscheinlich deinen besten Freund oder deine beste Freundin: Das Hilfsmittel zum zweiten Ich.
Wir leben in einer Zeit in der Kinder geboren werden, die es erstmals nicht mehr anders kennen als dass ein Bildschirm immer in nächster Nähe ist. Selbst der oder die Zweijährige im Kinderwagen macht es in der S-Bahn: Fasziniert in die Welt des zweiten Ichs zu schauen. Wie das Menschen beeinflusst, die es sich ohne diese Möglichkeit nicht vorstellen können wissen wir heute nicht.
Genau so wie das Automobil und die öffentlichen Verkehrsmittel heute zum Alltag unserer aller Leben gehört, von denen wir abhängen, hängen wir auch von unserem besten Freund zunehmend ab und vergessen was eigentlich um uns herum geschieht. Schaut euch die Bilder oben an. Glaubt ihr diese Menschen leben den Moment? Sie leben zwei Momente. Zwei Momente halb. Wie es jedoch jeder von uns jeden Tag macht.
Und ist das nicht fast schon eine Erweiterung des Menschen, eine Chance unserer Spezies Möglichkeiten zu verschaffen, die zuvor kaum denkbar waren. Das was Cyborgs per Definition sind? Betrachtet man dazu die Entwicklung von Wearables wie Smartwachtes, so ist Verschmelzung von Mensch und Maschine zu Cyborgs nicht so wie wir sie uns in der Science-Fiction ausgemalt haben, aber 1976 hat man sich das Jahr 2000 auch anders ausgemalt, als die Möglichkeiten, welche die Jahrtausendwende bot.
Dieser Artikel wurde von dem TED Talk „We are all cyborgs now“ inspiriert, der im Dezember 2010 von Amber Case gehalten wurde.